Lieferungen an Nichtunternehmer im EU-Binnenmarkt seit 1. Juli 2021
Mit dem Jahressteuergesetz 2020 hat der Gesetzgeber eine Neuregelung des Versandhandels zum 1. Juli 2021 eingeführt. Er setzt damit eine EU-weit gültige Änderung der Versandhandelsregelung um, welche auf dem sogenannten EU-MwSt-Digitalpaket beruht. Mit der Umbenennung in „innergemeinschaftlicher Fernverkauf” gehen im Wesentlichen zwei Veränderungen einher:
- Es gibt keine Lieferschwellen mehr (siehe Ausführungen unter Ziffer 3.2)
- Im Bestimmungsmitgliedstaat steuerbare Lieferungen können im sogenannten OSS (One-Stop-Shop) erklärt werden (siehe Ausführungen unter Ziffer 4 und 5).
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat bereits am 1. April 2021 ein Anwendungsschreiben zur Umsetzung der Neuregelungen veröffentlicht.
Die Umsatzbesteuerung von Warenlieferungen an Privatpersonen im EU-Binnenmarkt folgt prinzipiell anderen Vorschriften als die Besteuerung von Lieferungen zwischen Unternehmen. Während innergemeinschaftliche Lieferungen an Unternehmer grundsätzlich steuerfrei getätigt werden können und diese im Bestimmungsland vom Empfänger der Erwerbsbesteuerung zu unterwerfen sind, unterliegen Lieferungen an Privatpersonen anderen Regelungen. Der Grund hierfür ist, dass Privatpersonen von der Erwerbsbesteuerung regelmäßig ausgeschlossen sind.
Für folgende Rechtssubjekte gelten für die Umsatzbesteuerung von Warenlieferungen im EU-Binnenmarkt grundsätzlich die gleichen Regelungen wie für Privatpersonen:
- Unternehmer, die ausschließlich Umsätze ausführen, die zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führen
- Unternehmer, die der Kleinunternehmerregelung (§ 19 Absatz 1 UStG) unterliegen
- Land- oder Forstwirte, die Umsatzsteuer pauschalieren
- juristische Personen, die nicht Unternehmer sind oder die Ware nicht für ihr Unternehmen beziehen (öffentliche Hand mit ihrem Hoheitsbereich, Vereine in Erfüllung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben).
Hierbei ist allerdings zu beachten, dass diese Rechtssubjekte im Binnenmarkt Privatpersonen lediglich so lange gleichgestellt sind, wie
- sie nicht zur Erwerbsteuerpflicht "optiert" haben, beziehungsweise
- der Wert der Waren, die sie aus den übrigen EU-Mitgliedstaaten jährlich beziehen, einen bestimmten Betrag nicht überschreitet. Hierbei sind die Warenlieferungen aus den verschiedenen Mitgliedstaaten zusammenzurechnen. Die Höhe dieser so genannten Erwerbsschwelle richtet sich jeweils nach den Bestimmungen des Mitgliedstaates, in dem der Empfänger ansässig ist
Überschreitet eines der vorgenannten Rechtssubjekte die maßgebliche Erwerbsschwelle, gelten hierfür grundsätzlich dieselben Regelungen wie für Lieferungen zwischen voll vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmern (vergleiche hierzu die IHK-Information Steuerfreie Warenlieferungen in der EU zwischen Unternehmen .
Derzeit gelten folgende Erwerbsschwellen:
Mitgliedstaaten | Schwellenwert für die Anwendung der Sonderregelung für den Erwerb durch Steuerpflichtige ohne Vorsteuerabzugsrecht und durch nichtsteuerpflichtige juristische Personen (1) |
---|---|
Betrag | |
Belgien | 11.200 Euro |
Bulgarien | 20.000 BGN |
Dänemark | 80.000 DKK |
Deutschland | 12.500 Euro |
Finnland | 10.000 Euro |
Frankreich | 10.000 Euro |
Griechenland | 10.000 Euro |
Irland | 41.000 Euro |
Italien | 10.000 Euro |
Kroatien | 77.000 HRK |
Lettland | 10.000 Euro |
Litauen | 14.000 Euro |
Luxemburg | 10.000 Euro |
Malta | 10.000 Euro |
Niederlande | 10.000 Euro |
Österreich | 11.000 Euro |
Polen | 50.000 PLN |
Portugal | 10.000 Euro |
Rumänien | 34.000 RON |
Schweden | 90.000 SEK |
Slowakei | 14.000 Euro |
Slowenien | 10.000 Euro |
Spanien | 10.000 Euro |
Tschechien | 326.000 CZK |
Ungarn | 10.000 Euro |
Zypern | 10.251 Euro |
Quelle: Übersicht der EU Kommission Erwerbsschwellen Stand Juli 2019
Verwendet der im EU-Ausland ansässige Abnehmer keine Umsatzsteueridentifikationsnummer, kann man regelmäßig davon ausgehen, dass er von der Erwerbsbesteuerung ausgeschlossen, das heißt wie eine Privatperson zu behandeln ist. Verwendet hingegen eines der angeführten Rechtssubjekte eine Umsatzsteueridentifikationsnummer, kann davon ausgegangen werden, dass es zur Gruppe der erwerbsteuerpflichtigen Personen gehört.
Für die Umsatzbesteuerung von Lieferungen an Privatpersonen, die in anderen EU-Mitgliedstaaten ansässig sind, ist danach zu unterscheiden,
- ob die Waren in Deutschland vom Verkäufer an den Käufer übergeben werden, oder
- ob diese im Wege des Versands von Deutschland in den anderen EU-Mitgliedsstaat gelangen.
a) Grundsätzliche Regelung
Bei dem Verkauf und der Übergabe von Waren an Privatpersonen in Deutschland braucht der deutsche Verkäufer nicht danach zu unterscheiden, ob die Ware in Deutschland verbleibt oder vom Abnehmer in einen anderen EU-Mitgliedstaat verbracht wird. In beiden Fällen findet die Besteuerung im Ursprungsland, das heißt in Deutschland, statt. Für den Unternehmer bedeutet dies, dass er die deutsche Umsatzsteuer zu berechnen und ans Finanzamt abzuführen hat.
b) Ausnahmen
Innergemeinschaftliche Lieferung neuer Fahrzeuge
Abweichend vom oben genannten Grundsatz wird der Verkauf von Neufahrzeugen an Privatpersonen beziehungsweise diesen gleichgestellten Personen immer als innergemeinschaftliche Lieferung mit anschließendem innergemeinschaftlichen Erwerb behandelt. Im Einzelnen bedeutet dies Folgendes:
- Die Lieferung des Fahrzeugs ist von der deutschen Umsatzsteuer befreit.
- In dem EU-Staat, in dem die jeweilige Person das Fahrzeug anmeldet, erfolgt ein innergemeinschaftlicher Erwerb, der dort der Erwerbsbesteuerung unterliegt. Schuldner der Erwerbsteuer ist dabei nicht der Verkäufer, sondern der Erwerber des Fahrzeugs.
Hinweis: Dies gilt unabhängig davon, ob das Fahrzeug vom Verkäufer geliefert oder vom Käufer abgeholt wird.
Für welche Fahrzeuge gilt die Regelung?
- Motorbetriebene Landfahrzeuge mit einem Hubraum von mehr als 48 Kubikzentimetern oder einer Leistung von mehr als 7,2 Kilowatt
- Wasserfahrzeuge mit einer Länge von mehr als 7,5 Metern
- Luftfahrzeuge, deren Starthöchstmasse mehr als 1550 Kilogramm beträgt.
Wann gilt ein Fahrzeug als neu?
- Ein Landfahrzeug, wenn es entweder nicht mehr als 6.000 Kilometer zurückgelegt hat oder seine erste Inbetriebnahme im Zeitpunkt des Erwerbs nicht mehr als sechs Monate zurückliegt
- ein Wasserfahrzeug, wenn es nicht mehr als 100 Betriebsstunden auf dem Wasser zurückgelegt hat oder wenn seine erste Inbetriebnahme im Zeitpunkt des Erwerbs nicht mehr als drei Monate zurückliegt
- ein Luftfahrzeug, wenn es nicht länger als 40 Betriebsstunden genutzt worden ist oder wenn seine erste Inbetriebnahme im Zeitpunkt des Erwerbs nicht mehr als drei Monate zurückliegt.
Wie sieht die Rechnungsstellung in diesem Fall aus?
Neben dem Ausweis der allgemein üblichen Angaben ist bei der Rechnung Folgendes zu beachten:
- In der Rechnung des Lieferanten darf keine Umsatzsteuer ausgewiesen sein.
- Es muss ein Hinweis enthalten sein, dass es sich um eine innergemeinschaftlich steuerfreie Lieferung handelt.
- Es müssen Angaben enthalten sein, aus denen hervorgeht, dass es sich um ein neues Fahrzeug handelt.
Was gilt für den Nachweis der Steuerfreiheit?
Wird ein neues Fahrzeug steuerfrei an eine Privatperson geliefert, sind grundsätzlich dieselben Nachweise zu führen wie bei steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen an Unternehmen. Diese finden Sie ausführlich dargestellt in der IHK-Information Nachweis der Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen. Soweit das Fahrzeug durch den Abnehmer selbst befördert wird und für das Fahrzeug eine Zulassung für den Straßenverkehr erforderlich ist, kann der Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung auch durch eine Zulassung des Fahrzeugs auf den Erwerber im Bestimmungsmitgliedstaat der Lieferung geführt werden. Hierfür ist eine einfache Kopie der Zulassung ausreichend. Erforderlich ist jedoch, dass die Zulassung die Fahrzeug-Identifikationsnummer enthält. Die Zulassung auf eine andere Person als den Erwerber ist nicht ausreichend (vgl. dazu Abschnitt 6a.5 Abs.16 und 17 UStAE).
Liegt keine Übergabe der Ware in Deutschland vor, sondern ein sogenannter Fernverkauf gelten abweichende Grundsätze.
a) Innergemeinschaftlicher Fernverkauf
Ein innergemeinschaftlicher Fernverkauf ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
- Die Ware gelangt von Deutschland in einen anderen EU-Mitgliedstaat.
- Der Transport der Waren wird vom deutschen Unternehmer veranlasst. Dies ist gegeben, wenn
- er die Ware selbst transportiert oder
- einen selbstständigen Dritten mit dem Transport beauftragt (Beispiel: Spediteur, Kurierdienst, Fuhrunternehmer, Post, Bahn).
b) Ort der Besteuerung
Besteuerung im Ursprungsland
Fernverkaufslieferungen werden so lange im Ursprungsland, das heißt in Deutschland, besteuert, solange die Geringfügigkeitsschwelle in Höhe von 10.000 € nicht überschritten wird. Die bisherigen in den einzelnen EU-Ländern teils unterschiedlichen Lieferschwellen sind zum 1. Juli 2021 abgeschafft worden.
Wichtig: Die neu eingeführte Umsatzgrenze als Geringfügigkeitsschwelle beschränkt sich nicht auf ein bestimmtes Land, sondern umfasst alle grenzüberschreitenden Lieferungen und auch bestimmte elektronische Dienstleistungen an Nichtunternehmer mit Sitz in der EU.
Für die Beurteilung des Leistungsorts im Besteuerungszeitraum 2021 sind auch die elektronischen Dienstleistungen und innergemeinschaftlichen Fernverkäufe einzubeziehen, die im Kalenderjahr 2020 und im ersten Halbjahr 2021 ausgeführt wurden; eine zeitanteilige Aufteilung der Umsatzschwelle von 10 000 € ist im Kalenderjahr 2021 nicht vorzunehmen.
Werden die oben genannt Lieferschwellen überschritten, erfolgt die Besteuerung im Bestimmungsland, in das der Unternehmer die Ware versendet. Vor dem 1 Juli 2021 führte dies dazu, dass sich die Unternehmer im Zielland umsatzsteuerlich registrieren lassen mussten. Ab dem 1. Juli 2021 bietet das neue System dem Verkäufer die Option, vom sogenannten One-Stop-Shop Verfahren (OSS) Gebrauch zu machen, einer Erweiterung des Mini-One-Stop-Shop (MOSS). So wird es den Unternehmern ermöglicht, im eigenen Ansässigkeitsstaat ihre Erklärungspflichten zu erledigen. Auf diese Weise soll vermieden werden, dass sie sich in einer Vielzahl von EU-Ländern wegen Überschreitens der Lieferschwelle umsatzsteuerlich registrieren lassen müssen. Die Nutzung des OSS-Verfahrens ist freiwillig.
Beachte: den MOSS mussten Steuerpflichtige bislang nur für die Erklärung von Umsätzen aus elektronischen Dienstleistungen an Privatkunden nutzen. Zuständig für das OSS ist das Bundeszentralamt für Steuern (bislang auch zuständig für das MOSS). Eine Registrierung ist seit dem 1. April 2021 möglich.
Wichtig: Abholfälle (der Käufer befördert oder versendet die Ware) sowie Lieferungen an andere Unternehmer (B2B) fallen nicht unter die Fernverkaufsregelungen. Bei B2B Lieferungen ins Ausland handelt es sich um innergemeinschaftliche Lieferungen. Ausführliche Informationen dazu enthält das bereits erwähnte IHK Merkblatt Steuerfreie Warenlieferungen in der EU zwischen Unternehmen.
Meldezeitraum im OSS ist das Kalendervierteljahr. Die betreffenden Umsätze sind getrennt nach den einzelnen EU-Mitgliedstaaten zu erfassen. Die Anwendung des zutreffenden Steuersatzes ist selbst zu ermitteln. Der Verkäufer muss also die Steuersätze kennen, um seine Umsatzsteuerschuld zutreffend berechnen zu können. Mithilfe der Zolltarifnummer ist eine Ermittlung über entsprechende Datenbanken möglich.
- Access2Markets(Ermittlung der Zoll- und Umsatzsteuersätze des Bestimmungslandes)
Wenn der Unternehmer seine Fernverkäufe im OSS-Verfahren meldet, muss er für diese Lieferungen keine Rechnungen mehr ausstellen.
Sophie Riegler
KontaktTelefon: 0851 507-284
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Sascha Cavalieri
KontaktTelefon: 0851 507-451
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